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(eine Auswahl) 

Radiobeitrag gelaufen bei mephisto 97.6 am 27.04.2004:

Anmoderation:

Über skandalöse Bücher wird im Feuilleton derzeit heiß diskutiert. Man denke nur an Thor Kunkels „Endstufe“. Was davon übrig bleibt ist meist nur heiße Luft. „Hätte ich Hände“ von Heide Küsters ist ein Buch, das der Kritik auf jeden Fall standhält. Susann Hannemann hat es für Sie gelesen.

 
Abmoderation:

Die Erzählung „Hätte ich Hände“ von Heide Küsters ist im Beerenverlag erschienen und kostet 9,- €.

 
Schon ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis verrät uns: „Hätte ich Hände“ von Heide Küsters ist keine konventionelle Erzählung. Die Kapitel sind übertitelt mit einzelnen Worten wie ‚Schnee’, ‚Rostfäden’ oder ‚Schlammhaut’. Sie lassen viel eher freie Assoziationen bei einem Rorschach-Test vermuten.

Aber was zunächst wirr zusammengewürfelt scheint, ergibt beim Lesen schon bald einen tieferen Sinn: Aus verschiedenen Perspektiven werden Details zum Anlass genommen, die Dinge dahinter zu erzählen. So bildet in ‚Rinnsteinschlüssel’ eben genau jener Schlüssel, der in den Rinnstein fällt, den Auftakt einer folgenreichen Affäre.

Als ich Lele kennen lernte, hat sie gelacht. Damals wusste ich noch nicht, dass Leles Lachen etwas Besonderes war. Eine verschlüsselte sanfte Sprache für sie selbst und für die anderen. Poesie für die Schmetterlinge im Bauch und den Männerschweiß auf ihrer weißen Haut.

Der Mittelpunkt der Erzählung ist Lele mit ihrer gipsweißen Haut. Sie wandelt scheinbar träumerisch durch das Leben und verzaubert die Umwelt. Ihre Mitbewohnerin Rahe ist heimlich in sie verliebt. Für ihre mehr und mehr auseinanderbrechende Familie bleibt sie ein Geheimnis. Nicht von dieser Welt schient auch Las, den sie liebt und mit dem sie ein Kind hat. 

Lele hatte das Kind an. Sie trug es wie ein Kleid. Durch die Straße. Sie lehnte sich in die Blicke der Passanten. Lele mit dem schönen Kind. Das schöne Kind an Lele.

Lele nannte das Kind Kind. Vielleicht hatte sie seinen Namen vergessen, vielleicht vergaß sie ihn immer nur für den Moment, in dem es darauf ankam, das Kind beim Namen zu nennen. „Kind wir gehen einkaufen.“ Sie zog das Kind an und ging durch die Straße und die Blicke der Passanten.

Wer hier allerdings eine stringent erzählte Geschichte über komplexe Beziehungen und deren Verwirrungen erwartet, der wird enttäuscht sein. Denn es geht zwar um Liebe, Betrug, Verzweiflung und Tod. Oft aber bleibt alles nur Andeutung. Doch erahnt man beim Lesen schon das Verstummen der langjährigen Liebe. Man sieht die Anzeichen des Betrugs, der schließlich gewiss wird.

 Mano spielte seit einiger Zeit, wie sie ihn nie hatte spielen hören. Eine Melodie, die ganz fußlos dahinschwebte und darunter diese mächtigen, dunklen Akkorde. Etwas ,das sich anhörte, als ließe es sich nicht in Worte fassen. Etwas, das sich anhörte wie die Sehnsucht, die sie nach ihm hatte, wenn sie sie sich eingestand. Sie erinnerte sich an den Satz, den sie sich für solche Momente bereit gelegt hatte: Ich bin glücklich über sein Glück. Bis sie spürte, wie diese Musik sich in sie hineingeschlichen hatte, ganz leise, ganz tief hinein. Sie versuchte den Schmerz beiseite zu schieben, so wie sie immer die Sehnsucht beiseite geschoben hatte.

Die besondere Stärke der Erzählung „Hätte ich Hände“ ist ihre Sprache. Durchdacht komponiert schweben die Worte nahezu zwischen den Zeilen. Genauso leise, wie Lele in „Hätte ich Hände“ durch das Leben ihrer Mitmenschen wandelt, berichten die gedämpften Sätze von Glück, Schmerz und Trauer.

Alltägliche Momente werden poetisiert und hallen noch lange nach. So finden sich Sätze wie: „Der Kaffe lag braun in den Tassen auf dem Tisch.“

Nie wird es laut, aggressiv oder aufdringlich. Und gerade dadurch entfaltet „Hätte ich Hände“ eine besondere Atmosphäre.

 

 

 

 

Wie kalter Marmorhauch. Lyrische Momentaufnahmen: „Hätte ich Hände“ von Heide Küsters

Von Sabine Schuchardt

Fuldaer Zeitung (Magazin am Wochenende), 21. Februar 2004

Wie lyrische Momentaufnahmen kommen die Geschichten daher, die Heide Küsters in ihrem Buch „Hätte ich Hände“ zusammenträgt. Sie erzählt von Menschen, die keine Nachnamen, dafür aber kunstvolle kurzklingende Vornamen tragen wie Lele, Mano, Rahe, Marle, Nine, Inda, Las und Lelo.

Zunächst erscheint es wie ein Sammelsurium einzelner Momentaufnahmen, die ganz für sich stehen. Doch dieser Schein trügt. Denn alle dieser irritierend geschilderten Figuren stecken mitten in einem komplizierten Beziehungsgeflecht, das sich bei näherer Betrachtung keineswegs als idyllisch herausstellt. Unter der porzellanglatten Oberfläche geht es um Seitensprünge, uneheliche Kinder, Freundschaften und verbotene Liebe.

In den kurzen Kapiteln, die wie halb zur Prosa gestaltete Gedichte wirken, legt Heide Küsters ein Vergrößerungsglas an, unter dem sie ihre Figuren antreten lässt. Ihre Geschichten bestechen weniger durch haarscharfe Dialoge als vielmehr durch seltsam anmutende Beschreibungen, die sich mit Körper, Bewegung und Empfindung auseinandersetzen. Ihre Geschichten erinnern an ein Bild, das ganz aus Marmor geschaffen ist, doch bei aller Glätte schleichen sich in ihren kunstvollen Sätzen gewollte Misstöne ein, so dass ein irritierend inkongruentes Bild entsteht, das spätestens an der Stelle mit einem harten Bruch aufwartet, an der ein Kind von einem Auto überfahren wird. Nicht nur die Mutter zerbricht, sondern auch die Beziehung zum Vater. Es ist Lele, die aus ihrer traumwandlerischen Lebensart plötzlich erwacht und ihren Fall nicht mehr aufhalten kann.

Trotz der großen Nähe zu den Figuren bleibt dem Leser dennoch nichts anderes übrig, als in seltsamer Distanz zu verharren, denn Küsters lässt die kunstvollen Sätze oft verwirrend anders als erwartet enden, so dass ihre Erzählungen wie Träume sind, bei denen alle Gesetze der Schwerkraft, des Sehens und des Fühlens, umgedreht erscheinen.